Tanzrausch oder Seifenblase? (Rezension)

Dancescreen2019 + TANZRAUSCHEN Wuppertal
Annelie Andre
veröffentlicht am 27.11.2019 auf tanzweb.org


Es rauscht. Ich sitze im Zug zurück nach Berlin und es rauscht immer noch.

Die Fülle an Filmen, die ich in den letzten vier Tagen gesehen habe, hat mich müde gemacht. Und doch sitze ich nun hier, mit dem Kopf voller Gedanken, Fragen, Meinungen und dem Versuch, diese in Worte zu fassen. Ich habe Bewegungsdrang.

„Da brennt nix“, sagt Klaus Dilger und ich fuühle, was er meint. Die Eröffnung ebenso wie die Award Zeremonie gleichen einer Seifenblase, bunt nach außen und innen hohl. Das, was während des Festivals auf der Leinwand passiert, bleibt oft distanziert und unnahbar, die Formate unpersönlich und an der Oberfläche. Nehmen wir zum Beispiel die Panels, die dem IMZ, ARTE oder anderen größeren oder kleineren Institutionen zugeschnitten waren, jedoch nur in sehr wenigen Fällen eine befruchtende Auseinandersetzung mit künstlerischen Fragen und Positionen initiierten.
Wer sind die Menschen hinter den perfekt gemachten Filmen? Wo sind die Ideen und Konzepte, die Leidenschaft, der Drang nach Ausdruck?
Eine Anmoderation der Filme, eine Vorstellung der Künstler*innen und spezifische Publikumsformate wie Gespräche, Feedbackrunden oder auch gerne offenere Austauschmöglichkeiten hätten geholfen zu verstehen und anders wahrzunehmen. Ich hätte mir mehr Begleitung gewünscht im Tanzrauschen-Labyrinth.

Was ist ein guter Tanzfilm?
Eine Frage, die bis jetzt offen geblieben ist. Gibt es allgemeine Kriterien, die eine breitere Diskursebene kreieren, als das rein subjektive Empfinden, ob mich etwas mitreißt, bewegt, berührt? Wer wählt Jury-Mitglieder, welche Jury wählt welche Filme und warum? Ein Netz aus Wollenden, Habenden, Entscheidenden. Förderer, Sponsoren, Producer, Producer, Producer, Förderer, Institutionen, Producer. Künstler*innen, ja wohl auch die, irgendwo. Ich blicke nicht durch und das stört niemanden.

Das Festivalmotto „WE LIVE FUTURE NOW“ hinterlässt rückblickend einen fahlen Beigeschmack.
Kunst, in der die auf Hochglanz polierte Erscheinung wichtiger als der Inhalt ist, eine vorwiegend weiße, europäische Gesellschaft, die passiv in Kinosesseln sitzt und nebeneinander in eine vorgegebene Richtung starrt? Ein Festivalleiter, der mit seinem eigenen Film eröffnet, in der Vergangenheit gräbt und Erinnerungen in Plastiktüten durch Wälder schleppt? Ist es das, was uns erwartet in der Zukunft? Ich freue mich nicht darauf. Und überhaupt – wer ist dieses WIR?

Worüber ich mich jedoch allenfalls freue, ist das goldene Zelt von Gala Moody & Michael Carter im Schauspielhaus. Ein Ort, in den man sich mal kurz zurückziehen kann. Eintauchen in eine Welt, wo Zusammenarbeit anders funktioniert. Non-hierarchisch, respektvoll, nahbar. Vielleicht illusorisch könnte man meinen – doch lieber sollten wir utopische Visionen entwickeln, als Träumen die Luft zum Atmen zu nehmen.
Dies hat mir gezeigt, wie wichtig der Raum, der Ort ist, an dem wir Tanzfilm erleben. Ein Kino bringt gewisse Konventionen und Erwartungen mit sich. Sich berieseln lassen am Freitag Abend, vielleicht das zweite Date. Kino ist ein Service. Ich muss nichts dafür tun. Einfach gucken. Am Ende kann ich meinen Daumen in die eine oder andere Richtung recken und danach gehen wir zu Burgerking und reden über Autos.
Im Schauspielhaus funktioniert das anders. Da kann ich betrachten, mich in meinem Tempo durch die unbekannte Landschaft aus Bildschirmen, Sounds und Besucher*innen bewegen, eingebettet in einen architektonisch faszinierenden Raum, der nach Kunst riecht. Und draußen tanzen die Bäume, wenn ich ihnen meinen Blick leihe.
Ist es nicht wundervoll, an unbekannten Orten zu landen, nachdem sich der dichte Nebel aufgelöst hat, nachdem man von bekanntem auf unbekanntes Terrain ÜBERsetzt wurde? Tanzfilm kann das.
Ich möchte gefordert sein, wenn ich Kunst betrachte. Ich möchte angeregt werden und durch neue Welten navigieren, verzaubert werden. Und ja, auch enttäuscht sein, gelangweilt, konfrontiert werden mit meinen Grenzen und Systemen. Wir haben verlernt, auszuhalten. Uns auszusetzen, uns der Reibung hinzugeben. Wir haben verlernt, uns Orten auszuliefern, die uns den Spiegel vorhalten, forsch an unseren Grundfesten rütteln und doch die sind, die uns wachsen lassen. Ich möchte denken dürfen, meinen Körper spüren und das Gefühl haben, eine andere zu sein, wenn der Film zu Ende ist. Ich möchte das Gefühl haben, nun mehr zu fühlen, mehr zu verstehen, anders zu sehen – Menschen, Räume, Dinge. Vielleicht verlange ich zu viel. Doch wenn Kunst das nicht aushält, wer denn dann.

Dancescreen2019 + TANZRAUSCHEN Wuppertal, ein Festival, das es durchaus gut meint, schmeckt nach Mainstream. Will es das? Oder war der Rahmen des Festmahls einfach nicht der richtige?
Vielleicht wäre ein Lagerfeuer, um das wir uns alle versammeln und leicht verkohltes Stockbrot teilen, sexier als die teure Hightech Küche, in der wir bewegungslos an einer langen Tafel sitzen und allzu hübsche Häppchen serviert bekommen, die uns nicht satt machen.
Ich frage mich, wo das Festival hinwill. Welche Impulse es der Stadt Wuppertal gibt und was die Vision dafür ist. Es als fixen Bestandteil der Wuppertaler Kulturlandschaft zu etablieren? Es als Schloss aus Sand aus dem Boden zu stampfen und wieder niederzureißen, wenn alle Gäste abgereist sind?
Hilft das IMZ beim Aufräumen oder reicht das Budget dafür nicht? Komm, wir machen ein Sozialprojekt draus, das klappt bestimmt. Aber diesmal ohne Popcorn.